Sie sind nicht angemeldet.

  • Anmelden

1

11.05.2006, 16:37

Imperial Glory: billig aber gut

Nachdem es a.) das Game inzwischen zum Wühltischpreis gibt (~ 15 EURO) und b.) es ohnehin kaum Beachtung fand / Diskussion auslöste, kann man Imperial Glory (ab hier IG) wohl trotz des verstrichenen Jahrs seit Erscheinen auch hier nochmal zum Thema machen.
Außer nem kurzen und wie ich finde ungerechtfertigten Verriss von El Tigre bei Erscheinen gabs in diesem Forum noch nichts darüber.

Was den Pyrostudios leider bei dem Game wirklich misslungen ist, ist die "Heranführung" des Spielers, und das wird wohl Hauptgrund des Misserfolgs gewesen sein. Die Tutorials decken nur das Allernötigste ab, das gedruckte Handbuch (vom Umfang her mehr ein Flyer^^) darf gleich ins Altpapier, auf das wesentlich detailliertere pdf (und damit die absolut nötige hotkey-Liste für den Echtzeitteil) muss man im Spielordner schon selber stoßen, weder Installation noch Mini-Handbuch erwähnen es.
Und bei bloßem trial-and-error bleibt einem auch nach Stunden verborgen, was das game - insbesondere auf dem harten Schwierigkeitslevel, das natürlich wie bei jedem teilweise turn-based konzipierten, daher primär für den single player mode gedachten game das relevante ist - eigentlich auszeichnet: extreme taktische wie strategische Tiefe.

Es stimmt, dass es anfangs auf dem sehr abstrakt weil brettspielartig wirkenden, rundenbasierten Managementinterface (was zuerst abstrakt erscheint, erweist sich später als "angenehm aufgeräumt") nich übertrieben viele Entscheidungen zu treffen gilt - was übrigens auch auf das endlos gehypte, spielmechanisch verwandte Rome TW zutrifft -, aber im Gegensatz zu El Tigres Kritik haben diese wenigen Entscheidungen deutlichen Einfluss auf die frühe Entwicklung und die Überlebenschancen in den ersten Jahren und legen bereits fest, ob eine eher aggressive oder Handel/Diplomatie betonende Schiene gefahren wird.

Mal ne Zusammenfassung von Pros und Kons


++ nachdem mich AOE3 in einer Hinsicht wirklich enttäuscht hat (Shipments, FF etc interessieren mich da weniger), nämlich dahingehend dass seine Spielmechanik mit einer Würdigung der Kriegsführung des 18. und 19. Jhdts. in etwa so viel zu tun hat wie der neueste Worms-Teil, erweist sich der Echtzeitteil von IG in der Hinsicht je länger man es spielt - und je mehr man hotkeys und Kamera zu benutzen lernt - als absolut gelungene Umsetzung auf dem goldenen Mittelweg, die ausreichend viel Simulation und Waffenphysik bietet, ohne einem das Gefühl zu vermitteln, die Dinge nicht wirklich in der Hand zu haben (Stichwort: halbgare Moralsimulationen).
Deployment (also einleitende Aufstellung) und präzise getimtes Zusammenziehen der Einheitenstellungen können auch haarige Ausgangssituationen in extrem befriedigende Erfolge auflösen. Kavallerie und Artillerie erfüllen perfekt ihre zeitgemäßen Nischenfunktionen (es hilft sogar, die Neuerungen beim Einsatz der Feldartillerie, die Napoleon eingeführt hat, bei der eigenen Kanonenbenutzung zu berücksichtigen :) ). Flankieren, richtige Formation, Ausnützen des Terrains, Schußlinie freihalten, Einheiten nicht durch sinnloses Herumgelaufe ermüden, das Spiel weiß dies alles zu belohnen.
Auch hier gilt es aber leider eine gewisse Durtstrecke zu überwinden, nicht nur wegen der Lernkurve, sondern auch weil Schlüsselformationen (Double Line, Square) erst durch eine ganze Weile nicht zugängliche Technologien des zweiten Zeitalters freigeschalten werden und zuvor Fernkampfinfanterie gnadenlos gegen stürmende Kavallerie und wenn man sich nicht sehr geschickt anstellt sogar die anfangs omnipräsenten Massen billiger Nahkampfmiliz eingeht.

+ 3D-Grafik ist in Ordnung, nicht atemberaubend aber auf einigen Karten (zB Ägypten) doch sehr stimmungsvoll, units sind gut unterscheidbar, ihre Animationen wirken realistisch. Im rundenbasierten Teil ist wie erwähnt nur ne Brettspielartige Oberfläche (in etwa wie ne etwas hübscher gestaltetete Risiko-Karte) zu sehen, ein paar Animationen bei Meldungsfenstern für Technologieentwicklungen oder Ereignisse hätte man da schon noch einbringen können, aber muss nicht sein, man hat ohnehin genug im Kopf zu behalten, sobald das Reich ne gewisse Ausdehung erreicht hat. Ich persönlich ziehe diesen Stil sogar dem von Rome (Civilization-artig Riesen in der Landschaft, irgendwie cartoonhaft) vor, is natürlich Geschmackssache.

+ ausgefeiltes Diplomatiesystem, bei dem man nach kürzester Zeit und mehr oder weniger in jeder Runde aufpassen muss, wer mit wem knuddelt, wenn man nicht weggemobbt werden will ^^
Berücksichtigung des Allianzennetzwerks ist natürlich auch bei Kriegsplänen absolut zentral, nen "Weltkrieg" will man ja nach Möglichkeit nicht vom Zaun brechen.

+ abwechslungsreiches "Level"design, sprich das Terrain der Karten bietet immer neuen Stoff, seine Stellungen zu überlegen, auch weil die Situation völlig anders ist, je nachdem, ob man in ne Provinz anrückt oder dort schon vor dem Feind Stellung bezogen hat. Die Bergfestung Piemont bspw zu verteidigen ist ein Heidenspaß (wobei man Welle um Welle sich den Berg raufquälende Inf mit hämischem Gelächter unter schweres Artilleriefeuer nehmen kann :D )

+/- Sound und Musik: das Krachen der Kanonen und andere sounds sind effektiv, die Musik speziell bei Schlachten - falls man überhaupt Wert drauf legt, manche Leute drehen Musik sowieso gleich ab, dann fühlt sich der Aufenthalt im Europakartenmenü aber noch spartanischer an - ist etwas müde geraten, da empfehle ich im Zweifelsfall das großartige Musik-mod von officerpuppy

+/- IG auf mittel/schwer hat definitiv Phasen. Kurz nach dem Beginn 1789 gehts rund in Europa, an allen Ecken wird gekämpft und um Verbündete gebuhlt. Nach einigen Jahren sind gut die Hälfte der kleineren Länder aufgeteilt und es beginnt eine erste Konsolidierungsphase, in der, wenn man nicht selbst zum Kriegstreiber mutiert, kaum was los ist, gut um Infrastruktur auszubauen und ein paar Tassen Tee zu trinken ^^. Dann geht meistens ein Großreich in die Offensive und wird dabei wenn man sich in sachen Diplomatie nicht sehr blöd anstellt langfristig geschwächt. Eine zweite Konsolidierungsphase setzt ein.
Manchmal kann dass auf Grund des Allianzsystems zu extrem starren Gebilden führen, wo man kaum noch irgendwas angreifen kann, ohne nicht mit der halben Welt im Krieg zu sein.
Das ist witzigerweise historisch irgendwie korrekt (nach der Französischen Revolution eine Reihe von Groß- und Kleinstkriegen, kurze Beruhigung, Napoleons Sturm auf Gesamteuropa, Restauration/Biedermeier), scheint in IG aber nicht gescriptet, sondern sich auf Grund der Spieldynamik von selbst zu ergeben. Bug oder feature?

- Kameraprobleme: auf Karten mit vielen hohen Gebäuden (meist Zentralprovinzen=Hauptstadtkarten der Reiche) und Bergen hat man schonmal Probs, die Kamera ruhig zu halten oder nen sinnvollen Winkel zu finden.

- Schiffskämpfe: eigentlich interessanter Ansatz, aber auch mit Hotkeys sehr hakelige Steuerung, man muss schon ne Raumvorstellung sondergleichen haben, wenn man da bei größeren Flottenverbänden nicht völlig die Orientierung verlieren will, daher hab ich die in aller Regel automatisch exekutieren lassen (geht auch bei Landkämpfen, ist dort aber meist sehr unökonomisch, das kriegt man manuell immer besser hin, selbst sichere Niederlagen, immerhin kann man dafür sorgen, dass der Gegner einen Phyrrus-Sieg "erleidet").

- zwar bauen zumindest die Hauptreiche (und damit eigentlichen Gegner) prinzipiell gut durchmischte Armeen, trotzdem kanns passieren, dass manchmal in einer Provinz fast nur Artillerie auf einen wartet. Eine einzige Hussareneinheit kann dann Armeen von zehnfachem ökonomischen Wert zum Frühstück verspeisen.

- resbalancing: klappt im Endgame nach vielen Stunden Spiel nicht mehr richtig. Man hat soviel Gold, dass man nicht mehr weiß wohin damit, hat immer unendlich viel Bevölkerung übrig (ist hier ne echte Ressource, nich bloß ne cap wie in AOE), rennt aber weiterhin auch wenn man alle upgrades hat ewig den Rohmaterialien hinterher, die man eigentlich für alles (Gebäude, Einheiten, Schiffe) braucht. Da staatlicher Rohstoffkauf aber immer ein echter diplomatischer Akt ist (Commercial treaty), der wie alle andere diplomatischen Anliegen gerne mal abgelehnt werden kann, lässt sich auch nicht einfach alles mit Gold kaufen ....

So, langer Text, zeigt aber nur, wie positiv mich der in jeder Hinsicht Spätzünder IG überrascht hat ;)
Wahrscheinlich nix für Hektiker oder Leute, die ihre Spiele gern "flashy" haben, anderen aber, soweit Grundinteresse an Zeitalter und/oder Spieltyp "Strategischer Runden-Echtzeit-Hybrid" vorhanden ist, empfohlen.

2

15.05.2006, 23:45

Schönes Review!

3

15.05.2006, 23:50

Aha. Da steckt er also.

4

16.05.2006, 19:36

Jo, der Suchtquotient erwies sich als eher kriminell.
Mit allen 5 Reichen einmal auf hard Gesamteuropa erobern zieht sich :D
Nächste Woche guck ich aber mal wieder in ESO vorbei, in neuer Noob-Frische ^^

CoK_a_cola

Erleuchteter

Beiträge: 4 016

Wohnort: Arnsberg

Beruf: Immobilienkaufmann

  • Nachricht senden

5

23.06.2006, 12:54

ich muss sagen milhi, das hat mich bisl neugierig gemacht, keine ahnung warum ich jetzt erst hier lese, wohl langeweile, aber hört sich ganz ordentlich an!

gruss
gladi

6

24.06.2006, 21:43

Ah, ein mögliches Opfer :D
Sollt ich against all odds irgendjemand zum Kauf motivieren, bin ich - verantwortungsbewußt wie ich bin ^^ - gern bereit bin, allfällige Fragen zu Spielmechanik, undokumentierten features, modding (damits auch noch herausfordernd bleibt, wenn man mal alles begriffen hat) etc zu beantworten.

Nachdem ich grade bemerkt hab, dass es im mastersforum auch PM gibt *hüstel, danke für deine Nachrichten in den Jahren 2004 und 2003, Zant^^*, wohl am besten auf dem Weg ...

7

25.06.2006, 12:38

Gern geschehen :D